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Wer hat (Nutzungs-)Recht? Der Kampf um das geistige Kapital

Am 25. Juni 2001 ereignete sich vor den Schranken des Obersten Gerichtes der
Vereinigten Staaten von Amerika die moderne Variante des biblischen Duells David
gegen Goliath. Sechs freie Journalisten hatten es gewagt, die ehrwürdige New
York Times und mit ihr weitere Medienhäuser zu verklagen. Acht Jahre dauerte der
Rechtsstreit. Der <A href="http://www.supremecourt.us.gov/"
target=_blank>Supreme Court</A> gab schließlich - trotz massiven Lobbyings von
Seiten der Industrie - den Autoren mit 7:2 Stimmen <A
href="http://www.supremecourtus.gov/opinions/00pdf/00-201.pdf" target=_blank>in
einer sogenannten <EM>Slip Opinion</EM> Recht</A>: Verlage dürfen nicht ohne
Zustimmung der Autoren gedruckte Artikel auf CDs brennen und in kommerziellen
Datenbanken weiter vermarkten. Das Copyright war in der digitalen Gegenwart
angekommen.<BR><BR>Die Lage auf dem Mediensektor gleicht einem Schlachtengemälde
aus dem 18. Jahrhundert: Während im Vordergrund noch die Trümmer der New Economy
rauchen und die Medien nach den Rekordumsätzen der rauschhaften Millenniumsfeier
laut <A href="http://www.asv.de">Springer</A>-Chef Matthias Döpfner die
<I>„tiefste Krise seit dem zweiten Weltkrieg"</I> erleben, werden dahinter,
weitgehend den Blicken des geneigten Publikums verborgen, längst die Claims für
die Zukunft abgesteckt. Statt großer Zukunftsentwürfe, wie sie Mitte der
Neunziger Jahre der Durchbruch des Internets produzierte, regiert nun
Besitzstandswahrung. Der Kampf der Musik- und neuerdings auch Filmindustrie
gegen digitale Kopien und Internet-Tauschbörsen ist nur das augenfälligste
Beispiel.<BR><BR><B>Immaterielles Kapital</B><BR>Vor der Industrialisierung
entschied das Eigentum an Grund und Boden über den Kapitalfluss. Später waren es
die Produktionsmittel. Glaubt man den Propagandisten der
Informationsgesellschaft, so wird das 21. Jahrhundert im Zeichen eines gänzlich
immateriellen Gutes stehen: Lizenzen und Verwertungsrechten für geistiges
Eigentum. So rät die im April 2002 publizierte <I>"Medien-Studie 2006"</I> von
<A href="http://www.mercermc.de/" target=_blank>Mercer Management Consulting</A>
und <A href="http://www.hypovereinsbank.de/" target=_blank>HypoVereinsbank</A>
der Medienindustrie, <I>„nicht nur ihr Kerngeschäft auf eine profitable und
kosteneffiziente Basis zu stellen, sondern auch zusätzliche Umsatzquellen zu
erschließen sowie innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln"</I>.<BR><BR>Unter
Innovation verstehen die Berater dabei weniger die Schöpfung als vielmehr das
Recycling von Content über mehrere Kanäle und Medien hinweg: <I>„Im
Zeitungssektor können Verleger den Wert der eigenen Marke mit zusätzlichen
Produkten verstärkt ausschöpfen oder Inhalte mehrfach verwerten ... Buchverlage
können Boden gutmachen, indem sie erfolgreiche Buchinhalte über verschiedene
Medienplattformen wie Film, Fernsehen oder Internet vertreiben"</I>, heißt es in
der <A
href="http://www.mercermc.de/plain.php3?content=content/pressemeldungen/index&amp;id=32&amp;navlink=100"
target=_blank>Kurzfassung der Studie</A>. Die Gewichte sollen sich also
verlagern: Natürlich müssen auch weiter Kino-Drehbücher verfasst, Pop-Songs
komponiert und Zeitungsartikel geschrieben werden – entscheidend aber ist, wie
sie im Bouquet der Medien und Nutzungsarten x-fach verwertet
werden.<BR><BR><B>Gesetze hinken Technolgie hinterher</B><BR>Dafür braucht man
die Rechte. Je günstiger diese erworben werden können, je vielfältiger sie
verwertbar sind, umso mehr Geld wird in die Kassen gespült. Das klingt in der
Theorie simpel, erweist sich aber in der (juristischen) Praxis als äußerst
heikel. Denn die Gesetzgebung hinkt der Medientechnologie hinterher. So hat die
Bundesregierung trotz Fristsetzung durch die EU – die europäische Richtlinie <A
href="http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/intprop/news/com29de.pdf"
target=_blank>zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der
verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft</A> hätte eigentlich bis
Ende 2002 umgesetzt werden müssen – eine den neuen Medienbedingungen
entsprechende Novellierung des Urheberrechts immer noch nicht zustande gebracht.
Selbst Microsoft ist da mit seinen Updates und Bugfixes schneller.<BR><BR>Das
gesetzliche Vakuum, das auf diese Weise entsteht, haben die Medienkonzerne
durchaus zu ihren Gunsten zu nutzen gewusst&nbsp;und dabei auch die Gefahr
langwieriger, somit aber für die Gegenseite kaum erschwinglicher gerichtlicher
Auseinandersetzungen in Kauf genommen. Das gilt nicht nur für New York, sondern
auch für Karlsruhe, wo der <A href="http://www.bundesgerichtshof.de/"
target=_blank>Bundesgerichtshof</A> den <A href="http://www.spiegel.de/"
target=_blank>Spiegel</A> am 5. Juli 2001 dazu verurteilte, freie Fotografen
nachträglich für die Nutzung ihrer Fotos auf Jahrgangs-CD-ROMs von 1989 bis 1993
zu bezahlen.<BR><BR><B>Fotografen als Vorkämpfer</B><BR>Nach dem <A
href="http://www.netlaw.de/urteile/bgh_12.htm" target=_blank>BGH-Entscheid</A>
steht fest, dass Archiv-CDs eine eigenständige Nutzungsart darstellen, die der
Zustimmung der Autoren und der Honorierung bedarf. Ein ähnliches Urteil in
zweiter Instanz, erwirkt gegen den Berliner <A
href="http://www.tagesspiegel.de/" target=_blank>Tagesspiegel</A>, existiert
auch für die Nutzung auf Websites. Weshalb die Verlage inzwischen dazu
übergegangen sind, sich von freien Autoren in AGBs die Verwertungsrechte für
alle möglichen Nutzungsarten einräumen zu lassen. Gegenüber ihren
festangestellten Redakteuren haben sie dies in der Regel ohnehin schon bei der
Einstellung getan.<BR><BR>Das ausgerechnet freie Fotografen in Deutschland die
Musterprozesse führen, überrascht übrigens nicht. In der Einzelkämpfer-Branche
Journalismus sind sie die einzigen, die - unabhängig von den etablierten und
ihrer Natur nach stärker an die fest angestellten Arbeitnehmer gebundenen
Berufsverbänden - eine eigene Interessensvertretung zustande gebracht haben: <A
href="http://www.freelens.de/" target=_blank>FreeLens</A> war der Hauptkläger im
durch alle Instanzen gezogenen Rechtsstreit gegen den Spiegel.<BR><BR><B>Der
Pressespiegel-Fall</B><BR>Während die Urheberrechtsnovelle in erster Linie das
Feld der digitalen Kopie zu beackern sucht, fiel ein anderes Thema im Entwurf
unter den Tisch: die Verbreitung elektronischer Pressespiegel. Solche
Pressespiegel dürfen zwar - vom sogenannten Pressespiegelprivileg gesetzlich
gedeckt -&nbsp;auf althergebrachte Weise&nbsp;mit Schere und Klebstoff montiert
werden, wofür eine pauschale Abgabe an die <A href="http://www.vg-wort.de/"
target=_blank>VG (Verwertungsgesellschaft) Wort</A> anfällt, die das Geld
wiederum unter den Autoren verteilt.<BR><BR>Doch geht die zeitgemäße papierlose
Verbreitung über den Horizont des Gesetzgebers, obwohl – wie der als
unorthodoxer Kritiker des Urheberrechtsentwurfs profilierte Münsteraner
Professor <A
href="http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/mitarbeiter/hoeren.htm"
target=_blank>Thomas Hoeren</A> auf einer Berliner Konferenz <A
href="http://www.heise.de/newsticker/result.xhtml?url=/newsticker/data/jk-26.04.02-010/default.shtml&amp;words=Thomas%20Hoeren"
target=_blank>vermutete</A> – inzwischen jedes Unternehmen, ja selbst der
Bundesgerichtshof, damit arbeite.<BR><BR><B>"Großverlage wollen alleine
kassieren"</B><BR>Hoerens Pointe, dass sich die Verleger, die allein gegen
Ausnahmerechte zum Erstellen der E-Presseschnippsel votierten, eigentlich mit
der Frage beschäftigen müssten, wie sie den BGH verklagen könnten, trifft indes
nicht voll ins Schwarze: Die Verleger haben nämlich auch diese Gesetzeslücke
schon selbst genutzt, um eine eigene Lizenzierungsfirma, die seit April 2001
arbeitende <A href="http://www.presse-monitor.de/" target=_blank>Presse-Monitor
Deutschland GmbH</A>, zu gründen, während sie der VG Wort als angestammter
Verwertungsgesellschaft in mehreren Gerichtsurteilen die Erstellung
elektronischer Pressespiegel untersagen ließen. Wohl nicht zu Unrecht <A
href="http://www.igmedien.de/publikationen/m/2001/05/autoren_werden.html"
target=_blank>echauffierte sich die Gewerkschaftszeitschrift M</A> damals, dass
die „Großverlage alleine kassieren" wollten, „ohne die Urheber an den Erlösen zu
beteiligen."<BR><BR>Allerdings - und nun kommt die echte Pointe – hat der von
Informationsrechtler Hoeren "geoutete" Bundesgerichtshof inzwischen der VG Wort
erlaubt, selber elektronische Pressespiegel zu lizenzieren. In dem Urteil vom
11. Juli 2002&nbsp;<A
href="http://www.bundesgerichtshof.de/PressemitteilungenBGH/PM2002/PM_076_2002.htm"
target=_blank>befanden die Richter grundsätzlich</A>, dass sich ein
elektronischer Pressespiegel nicht wesentlich von einem Pressespiegel in
Papierform unterscheide. Womit ein veraltetes Gesetz anstandslos und
höchstrichterlich in die neue Medienwelt überführt worden wäre.
Zuletzt bearbeitet 07.01.2003 11:58 Uhr
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