Vom Abwehrkampf zum Geschäftsmodell: Gratisblätter lösen Tabloids ab

Vor einem Jahr noch galten Tabloids als der Heilsbringer schlechthin auf dem deutschen Zeitungsmarkt. Springer startete die Welt kompakt von Berlin aus in immer mehr Ballungsräumen; der Kölner Stadt-Anzeiger, der sich von Springer in der Domstadt attackiert sah, brachte den Ableger "Direkt" heraus; Holtzbrinck schließlich versuchte sich für 20 Cent erst in Cottbus, später auch in Saarbrücken, und verbreitete News in Frankfurt.

Die Aufbruchstimmung ist inzwischen Ernüchterung gewichen. Denn die Idee, mit schmalen Inhaltshäppchen einer lesefaulen Zielgruppe, die an die Kostenlos-Kultur im Internet gewöhnt ist, das Medium Zeitung näher zu bringen, fand zu wenig Käufer - trotz der Billigpreise und des Marketings, das der avisierten Zielgruppe trendige Attribute wie "jung" und "mobil" beigab, die Werbekunden elektrisieren sollten. Doch mangels Verbreitung konnten die kleinen Blätter auf dem Anzeigenmakt nicht reüssieren.

Die Skandinavier als Katalysator
Die Konsequenz, statt der Billig- gleich Gratiszeitungen herauszugeben, galt indes bei deutschen Verlagen als verpönt. Bisher jedenfalls. Denn in diesen Tagen stellt sich ein Sinneswandel ein, der durchaus kannibalistische Züge trägt. Katalysator für diese neue Entwicklung sind die skandinavischen Gratiszeitungsverlage, die sich bereits in vielen wetseuropäischen Ländern breit gemacht haben und nun den deutschen Markt ins Visier nehmen.

Vor vier Jahren wehrten in Köln DuMont und Springer schon einmal den Schibsted-Konzern ab, indem sie dem norwegischen Eindringling das Wasser mit eigenen Kostenlos-Blättern abgruben. Als Schibsted sich schließlich zurückzog, stellten beide Häuser ihre Gegenprodukte prompt wieder ein.

"Der Markt ist reif"
Anno 2005 haben deutsche Verlage wieder Gratiszeitungs-Konzepte in der Schublade - doch nicht nur, um sie bei einem finsteren Wikkinger-Angriff hervorzuzaubern. Ausgerechnet beim Traditionshaus DuMont Schauberg steht offenbar die Umwandlung des Kölner Stadtanzeiger Direkt, der laut IVW nur 6.200 Exemplare verkauft, in eine Gratiszeitung direkt bevor.

"Wir sind gewappnet, falls ein Konkurrent vorprescht. Eine Abwehrstrategie fahren wir aber nicht", wird Geschäftsführer Konstantin Neven DuMont in der Welt am Sonntag zitiert. Der Markt sei nämlich "reif für eine Gratiszeitung".

So weit ist Springer bisher nicht gegangen. Doch soll Europas größter Zeitungsverlag laut Medienberichten schon einen Vorvertrag mit der schwedischen Metro-Gruppe geschlossen haben - angeblich nur zu Verteidigungszwecken. Laut WamS hätte der Verlag aber die Option, die Welt kompakt ebenfalls in eine Gratiszeitung umzuwandeln. Das wäre dann ein ziemlich schwaches Ende für das Schritt für Schritt in deutschen Ballungsräumen lancierte Zeitungskonzept.

Enttäuschende Tabloid-Auflagen
Welche Auflage der Welt-Ableger erreicht, weiß man nicht - Springer wirft sie bei der IVW-Meldung mit dem Mutterblatt in einen Topf. Holtzbrincks Verlagstöchter bezifferten die Auflagen von News Frankfurt auf 10.000 und von 20Cent Cottbus auf 20.000 Exemplare. Angeblich haben die Stuttgarter aber mit Schibsted gesprochen. Sie suchen einen Partner für eine überregionale Verbreitung, um für Anzeigenkunden attraktiver zu werden.

Für Bewegung in der Branche ist also gesorgt, zumal RTL ebenfalls mit Schibsted verhandelt hat. Sollte Bertelsmann über seine Fernsehtochter tatsächlich ins Zeitungsgeschäft einsteigt, kann dies auch als Antwort auf Springers Pläne gesehen werden, die Mehrheit bei ProSiebenSat.1 zu übernehmen.
Zuletzt bearbeitet 18.07.2005 14:38 Uhr