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Müssen Hauptstadtjournalisten Twitter-Nutzer sein?

Frage an Radio Eriwan: Ist Twitter ein angemessenes Medium für die Verteilung von Verlautbarungen aus dem Bundespresseamt? Die Antwort lautet: Im Prinzip nein.

Der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans musste sich am vergangenen Freitag in der Bundespressekonferenz wegen eines getwitterten US-Reisetermins von Angela Merkel hartnäckiger Nachfragen erwehren, ob sie künftig Regierungssprecher Steffen Seibert "als Kunde oder Follower ‑ ich weiß nicht, wie das dort heißt -" (Zitat aus dem Protokoll) folgen müssten, um nichts zu verpassen.

Merkwürdig und verstörend
Thomas Wiegold hat das Protokoll des stellenweise kuriosen Frage-und-Antwort-Spiels wohl als erster aufgetan und gebloggt - nicht ohne das Bekenntnis: "Ich bin selbst Mitglied der Bundespressekonferenz. Das für all’ die, die jetzt meinen Berufsstand pauschal beschimpfen."

Auch beim stets modernen Carta-Blog greift die Redaktion den Fall mit spitzen Fingern auf: "Einige Hauptstadtjournalisten finden es merkwürdig und verstörend, dass Regierungssprecher Steffen Seibert (@RegSprecher) jetzt nicht mehr nur exklusiv zu ihnen spricht, sondern per Twitter irgendwie unvermittelt, irgendwie zu allen."

Also wieder mal ein typischer Fall von "Arrogante, etablierte Journalisten von Gestern kapieren nicht, dass sie im sozialen Netz kein Informationsmonopol mehr haben"?

Untergang im Nachrichten-Strom
Nicht so schnell. Die erste Frage lautet ja - siehe oben -, ob Twitter das angemessene Medium für die Verbreitung von Mitteilungen des Bundespresseamtes darstellt. Aus publizistischer Sicht hat der Zwitscher-Dienst unbestreitbare Vorteile: Er stellt eine Veröffentlichungs-Plattform von bestechender Simplizität dar und eignet besonders gut für Informationen, die ihren Adressaten noch finden müssen. Da entfaltet Twitter geradezu magische Fähigkeiten; der Regierungssprecher-Account hat übrigens nach einem Monat schon fast 13.000 Follower.

Das Bundespresseamt kennt seine angestammte Zielgruppe aber schon: Die Hauptstadt-Journalisten. Dass es für die Spin-Doktoren der Bundesregierung reizvoll ist, die eigenen Verlautbarungen an der Journaille vorbei direkt zur interessierten Öffentlichkeit zu tweeten, steht auf einem anderen Blatt; mit Transparenz sollte man dieses Interesse übrigens nicht verwechseln.

Wenn der Regierungssprecher eine US-Reise der Bundeskanzlerin aber nur über Twitter verkündet und damit die bislang üblichen Informationswege seiner angestammten Zielgruppe verlässt, leistet er sich einen Fauxpas. Das kann sein Stellvertreter Steegmans auch mit vielen guten Worten zur Bekehrung von journalistischen Twitter-Skeptikern, die sich sogar um Sicherheitsmängel sorgen, nicht entkräften.

Mehrwert
Aus Rezipienten-Sicht - und um die Empfänger der frohen Botschaften aus dem Kanzleramt geht es hier - ist Twitter ebenso Publikations- wie Distraktionsmedium. Tweets können leicht im eigenen Nachrichten-Strom untergehen. Sie können Antworten auf andere Tweets darstellen, deren Sinn sich nicht auf Anhieb erschließt. Und ihre Kürze macht Verlautbarungen eines Regierungssprechers leider auch nicht würziger.

Deshalb: Im Prinzip nein. Es gibt keinen Grund, Twitter beim Bezug von Pressemitteilungen und Terminen gegenüber bewährten Transportwegen - SMS-Verteiler, Emails - den Vorzug zu geben. Ob man sie trotzdem via Twitter abonnieren möchte, sollte das Bundespresseamt dem geneigten Publikum überlassen und dann alle Informationswege gleichberechtigt bedienen.

Einen Mehrwert kann Twitter jedoch jenseits der reinen Verlautbarung schaffen. Wenn sich der Grüne Volker Beck und Regierungssprecher Seibert via Twitter, nunja, duellieren, wie vor einer Woche geschehen, wird das auch für die alten Medien ein Thema. Selbst Oldschool-Journalisten, die diesen dpa-Aufreger verpasst haben, kämen am Ende vielleicht doch nicht mehr darum herum, bei Twitter Kunde zu werden. Oder Follower oder wie das heißt.

Bliebe als soziales Pflicht-Medium noch Facebook. Dann müssten Hauptstadtjournalisten allerdings von sich behaupten, "Fan" der Regierung seien. Und das geht nun wirklich nicht, oder?
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