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Kein Verbot ohne Ausnahme: Der Streit um Tagessschau.de war vorhersehbar

Darf die ARD ihr Online-Angebot tagesschau.de auch nicht-sendungsbezogen, also als eigenständige Nachrichten-Website betreiben? Der Streit um dieses Ansinnen, der nun vorhersehbar zwischen dem öffentlich-rechtlichen Senderverbund und den Zeitungsverlagen ausgebrochen ist, karikiert unmittelbar die unscharfe Demarkationslinie, die der im November 2008 verabschiedete zwölfte Rundfunkänderungs-Staatsvertrag zieht.

Dort hatten die Zeitungsverleger zwar festschreiben lassen, dass ARD und ZDF online eine "elektronische Presse" untersagt wird. Aber im Flickwerk der deutschen Rundfunkgesetzgebung existiert kein Verbot, für das es nicht auch eine Ausnahme gäbe. Also kann sich die ARD mit Hilfe des neu eingeführten Drei-Stufen-Tests durch die Hintertür doch noch eine Genehmigung holen.

Die Unabhängigkeit der Rundfunkräte
Anders als beim englischen Public-Value-Test, der unter der Regie der von der BBC abgekoppelten Regulierungsbehörde Ofcom durchgeführt wird, sind in Deutschland die Rundfunkräte der Anstalten für die Beurteilung verantwortlich. Das weckt Zweifel an der Unabhängigkeit des Urteils.

Bereits bekannt wurde, dass der Rundfunkrat des NDR, also der für ARD aktuell verantwortlichen Anstalt, die Online-Expansion befürwortet: "Nach Abwägung aller Argumente neigt der NDR-Rundfunkrat der Auffassung zu, dass der qualitative publizistische Beitrag von Tagesschau.de die negativen Auswirkungen auf die Wettbewerber deutlich überwiegt".

Mit einem Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte hat sich das NDR-Gremium bestätigen lassen, dass das gebührenfinanzierte Online-Angebot tagesschau.de die private Konkurrenz wirtschaftlich nicht über Gebühr schädigen würde. Von einer Einstellung des ARD-Nachrichtenportals würde sie lediglich mit einer Einnahmesteigerung von 3,9 Prozent profitieren. Das sei "kein nennenswertes zusätzliches Erlöspotential".

Entscheidung im August
Über die Vorlage des NDR für Tagesschau.de als "nichtsendungsbezogenes Telemedium" müssen alle neun ARD-Rundfunkräte abstimmen. Das letzte Wort hat die niedersächsische Staatskanzlei, die in dem Verfahren die Rechtsaufsicht führt. Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger hat bereits einen Protestbrief an Ministerpräsident Christian Wulff verfasst. Der geplante Ausbau von Tagesschau.de, der mit einer Etaterhöhung um 50 Prozent binnen vier Jahren finanziert werden soll, sei eine "Kampfansage an alle frei finanzierten Medien", gegen die man "alle politischen und rechtlichen Mittel" in Bewegung setzen wolle, heißt es darin.

Wulff war einer jener Politiker, die sich die bizarre Telemedien-Gesetzgebung ausgedacht haben. All das, was jetzt passiert, war plan- und voraussehbar. Insofern sei dem Ministerpräsidenten aus Hannover und seinen Kollegen das Trommelfeuer von Seiten der Verlagswirtschaft von Herzen zu gönnen.
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