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Beim Bush-Besuch wird Gesinnung wieder fett gedruckt

Wenn George Bush kommt, dann geht plötzlich gar nicht mehr. Das betrifft nicht nur den stockenden Verkehr in der deutschen Hauptstadt, sondern auch die Presse, die wieder in uralten Schützengräben kauert, alte Feindbilder neu projeziert und die Berichterstattung zur Gesinnungsfrage macht. Rückfall der Springer-Presse Den heftigsten Rückfall erlitt die Springer-Presse, deren Verlag bekanntlich die Treue zur USA in einem Statut verbrieft hat. Aber muss man uns deshalb zumuten, die auf Englisch unterbreiteten Sympathiebekundungen des Welt-Chefredakteurs ("But let this be quite clear: The great majority of our people are definitely not on the side of the protesters") zu lesen? Solche staatstragenden Worte überließe Weimer besser dem Kanzler. Aus dem Munde eines Ex-Jusos klingen sie auch schöner. Und dass die Berliner Boulevard-Bastion B.Z. titelt: "Berliner happy. George kommt zu uns. Nur Idioten sind dagegen" - kann das wirklich wahr sein? Sollen wir uns von B.Z.-Chefredakteur Georg Gafron zu ewiger Dankbarkeit dafür verpflichten lassen, dass ihm einst unter gewiss nicht angenehmen Begleitumständen die Flucht aus der DDR in den amerikanischen Sektor gelang? Natürlich. Durch Berlin ging einmal eine hässliche Mauer, und es waren die US-Amerikaner, die schon zu Blockadezeiten Ende der 40er Jahre eine Luftbrücke zur Verpflegung der Westberliner bauten. Das wissen nicht nur B.Z.-Leser. Aber es ist noch nicht ganz so lange her, da warfen die Amerikaner neben Care-Paketen auch Bomben ab; über Afghanistan war das, und offenbar hat sich der Gesinnungsmann Gafron darüber geärgert, dass nicht alle Hurra geschrieen haben wie er. Einseitige Berichterstattung Von der Presse darf man erwarten, dass sie politische Zusammenhänge vermittelt und auch einem Staatsgast unbequeme Fragen stellt. Nicht umsonst fällt Bushs Besuch in eine Zeit, die ebenso von der Furcht vor terroristischen Attentaten wie von der Befürchtung eines bevorstehenden amerikanischen Angriffs auf den Irak geprägt ist. In dieser diffus-bedrohlichen Weltlage ist der Journalismus als Auf- und Erklärer besonders gefordert. Aber nur das zu sehen, was man sehen will, und alles andere auszublenden - das hat mit unabhängiger Berichterstattung nichts zu tun. Spätestens wenn Gesinnung zur Selbstgefälligkeit wird, macht sich grenzenlose Oberflächlichkeit breit. Das gilt für Springers Jubelpersertum (das den Solidaritätsadressen weiland im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" in nichts nachsteht) ebenso wie für jenen (außer vom Außenminister) liebevoll gepflegten Antiamerikanismus, der einmal eine ganze vom Protest geprägte Generation bestimmt hatte. All das ist ohne Zweifel auch sehr deutsch. Aber wollen wir es wirklich immer noch und immer wieder lesen?
Zuletzt bearbeitet 23.05.2002 17:04 Uhr
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