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New York Times: Werbung statt Bezahlinhalte

Die freie Meinung bei der New York Times.
Foto: nytimes.com
Die freie Meinung bei der New York Times.
Foto: nytimes.com
Vor wenigen Tagen schickte die New York Times mal wieder einen Newsletter herum: Ein neues Feature namens My Times erlaubt es dem registrierten Leser per "free exclusive online access", seine eigene Startseite mit Times-Geschichten und Empfehlungen, fremden Nachrichtenquellen und RSS-Feeds einzurichten. Eine individualisierte Seite? Bei allem Respekt: Das gab's anderswo schon vor zehn Jahren.

Dabei hätte die Times wirklich etwas bahnbrechend Neues zu melden gehabt. Denn von heute auf morgen hat die renommierte Tageszeitung ihre Bezahlinhalte freigeschaltet: Das vor zwei Jahren gestartete Abo-Modell Times Select, das den Zugriff auf die einflussreichen Times-Kolumnisten, die sogenannten OpEds und das Zeitungsarchiv auf zahlende Kunden limitierte, wurde zum 19. September ersatzlos gestrichen.

Alles frei seit 1987
Damit sind alle Zeitungsartikel seit 1987 frei zugänglich. Erst für noch ältere Artikel - die Times digitalisiert ihr Archiv bis zurück ins Jahr 1850(!) - erscheint das Dollar-Zeichen. Anders als bei kommerziellen Archivanbietern, die schon für die Suche Gebühren erheben, sind die Trefferlisten samt Textschnippsel aber auch bei alten Archivartikeln kostenfrei.

Strategisch bedeutet dieser Schritt vor allem Eines: Die Umsätze, die sich mit Online-Werbung generieren lassen, übertreffen sechs Jahre nach dem 11. September und der folgenden Medien- und Werbekrise die Möglichkeiten von Bezahlinhalten. Rund zehn Millionen Dollar wurden nach Verlagsangaben pro Jahr mit Times Select umgesetzt. Die Online-Werbung aber wird weiter wachsen. Da auf Bezahlseiten aber nur ein begrenzter Abonnentenkreis Zugriff hat, ist Werbung dort mangels Reichweite unattraktiv.

Konsequenterweise hat die New York Times das Vorhängeschloss von diesen Seiten wieder entfernt und damit einen weiteren Nagel in den Sarg des paid content geschlagen. Womöglich wird auch das von Rupert Murdoch übernommene Wall Street Journal, das lange Zeit als Vorbild für Online-Abos galt, bald den Hammer in die Hand nehmen.

Andere deutsche Verhältnisse
Auf deutsche Verhältnisse ist der Schritt der New York Times nicht 1:1 übertragbar. Kolumnen und Meinungsartikel sind hierzulande nicht so hoch angesehen, als dass man sie wie in den USA vermarkten könnte. Der US-Leser musste sich dagegen daran gewöhnen, sich bei seiner Zeitung online zu registrieren, auch wenn der Zugang dann kostenlos ist.

Bei Archiven fahren die deutschen Tageszeitungen ganz unterschiedliche Strategien - von kompletter Öffnung bis zu Mondpreisen über Drittanbieter. Häufig sind E-paper-Abos erhältlich. Als Anbieter von direkt in die Website integrierten Bezahlinhalten fällt höchstens noch der Spiegel auf.

Augenfällig wird aber auch ein inhaltlicher Kulturbruch zwischen Deutschland und den USA auf dem Gebiet der Zeitungs-Websites. Dass hierzulande selbst sogenannte Qualitätszeitungen online vor allem aufs "Vermischte" setzen und mit Hilfe von halbseidenen Bilder-Shows (von der IVW gezählte) Klicks generieren, müsste den Verantwortlichen eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben. Zum Vergleich: Die einzige Zerstreuung, die sich die New York Times leistet, ist das traditionelle, auch online abrufbare Kreuzworträtsel. Amerika, Du hast es besser.
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