Ein Jahr, es geht voran: Der Sportjournalismus an der Anti-Doping-Front

Vor ziemlich genau zwölf Monaten wurde der Berliner TV-Journalist Hajo Seppelt als Schwimmsport-Kommentator der ARD kaltgestellt; er hatte die unkritische Haltung seiner öffentlich-rechtlichen Kollegen gegenüber dem Doping kritisiert. Ein Jahr später wird Seppelt plötzlich als "ARD-Dopingexperte" vermarktet; seine Berichte über den gedopten Radsport laufen sogar in den Tagesthemen.

Nicht nur die ARD, sondern der gesamte Sportjournalismus ist von einem gigantischen Sinneswandel erfasst worden: Im Verbandsorgan Sportjournalist verfasste kürzlich sogar ein altgedienter Berichterstatter ein "J'accuse" an die eigene Adresse: Viel zu blauäugig habe er die Leistungen eines Jan Ullrich gewürdigt.

"Mental" (um ein Boris-Becker-Wort zu verwenden) aufgerüttelt hatte den alteingesessenen Sportjournalistenverband auch die angekündigte Gründung eines Konkurrenzverbandes. Dieses Sportnetzwerk , das der Ressortleiter der Berliner Zeitung, Jens Weinreich, mit ein paar Emails an Kollegen Ende 2005 ins Leben rief, ist zwar im Wesentlichen ein persönliches Projekt des Inaugurators geblieben - hat aber die Funktionäre des Alt-Verbandes umso stärker aufgeschreckt und dort eine Diskussion über journalistisches Selbstverständnis angestoßen.

Investigative Outlaws
Gewiss wäre es lohnenswert, die Wirkungsgeschichte dieser Anti-Doping-Welle, auf der plötzlich viele mitsurfen wollen, einmal in einem publizistischen Seminar zu untersuchen. Dabei ließe sich auch einiges darüber lernen, wie journalistisches Agenda-Setting funktioniert.

Vielleicht ist die Konstellation am besten am Beispiel eines klassischen Westerns zu verstehen: Hier ein aufrechtes Häuflein von Journalisten, die sich als investigative Outlaws des Sport-Establishments verstehen. Da der zwischen vielen Funktionären und Berichterstattern gepflegte Common Sense, dass man sich den Sport bitteschön nicht kaputtmachen lassen will - nicht vom Doping und auch nicht von anderen Skandalgeschichten. Wer einmal die "Glorreichen Sieben" gesehen hat. der weiß, dass es bei solch einer Konstellation niemals nur um die Sache geht, sondern elementar um "gut" und "böse" - persönliche Anfeindungen und Eifersüchteleien unter Kollegen, man kennt das ja.

Fürs erste hat jenes glorreiche Journalisten-Häuflein, das dank seiner Verankerung in führenden Medien alles andere als vogelfrei ist, nun den Sieg davon getragen. In einem Interview auf der Medienseite der Berliner Zeitung - die für sich in Anspruch nehmen darf, mit ihren Artikeln zur Entlassung des langjährigen ARD-Sportkoordinators und Ullrich-Freundes Hagen Boßdorf beigetragen zu haben - durfte der Comeback-Journalist Seppelt jetzt die Peergroup namentlich würdigen: Es waren "Weinreich (Jens Weinreich, Sportchef eben jener Berliner Zeitung, d. Red.) und andere kritische Kollegen wie Herbert Fischer-Solms vom Deutschlandfunk und Journalisten von Süddeutscher Zeitung und FAZ", die "immer wieder auf Fehlentwicklungen des Sports hingewiesen" haben. Ehre, wem Ehre gebührt.

Anti-Doping täglich?
Was aber wird nun aus der Anti-Doping-Welle? Wird aus der täglich Sport- jetzt eine Anti-Dopingseite? Seppelt, der zu den leisen, nachdenklichen Vertretern eines sonst eher dick auftragenden Berufsstandes gehört, geht wohl in die Irre mit seiner Forderung, "Radio und Fernsehen, aber auch die anderen Medien" müssten sich so "aufstellen", dass sie über "ökonomischen Druck" einen "Reinigungsprozess" im Sport in die Wege leiten könnten. Wenn Medien wie Seppelts ARD dem Sport kein Sponsoren-Geld bezahlen würden, dann müssten sie es ihm auch nicht wieder entziehen, und sei es aus erzieherischen Gründen. Da wird der Bock zum Pädagogen.

Seppelt glaubt auch, man könnte mit Doping Quote machen, nur weil bei einer Regionalsportsendung seines Haussenders RBB, in der es um Doping ging, der Marktanteil "um satte zwei Prozent" gestiegen sei. Bitte, das klingt doch ziemlich blauäugig. Fernsehprogramme müssen geschaut und Zeitungen verkauft werden, und solange das Publikum willens ist, das "schneller, höher, weiter" des Spitzensports als Unterhaltungs-, Kompensations- und Projektionsfläche zu akzeptieren, geht das nimmer ohne Rekordsause und Tor des Monats ab. Vielleicht ist der schöne Schein einer heilen Sportwelt ja schon genug für eine Gesellschaft, die sich selbst von Alkohol und Zigaretten bis zum Muntermacher oder Schlafmittel zwischen Drogen eingerichtet hat.

Gut möglich also, dass - wenn erst der übliche Erregungs-Pegel wieder abgeflaut ist - im Sportjournalismus alles so weitergeht wie bisher: Das glorreiche Journalisten-Häuflein wird die Skandale wieder exklusiv für sich haben (und darüber gar nicht so unglücklich sein), und die Common-Sense-Mehrheit wird sich auch besser fühlen; immerhin hat sie bald eine "Anti-Doping-Task-Force" und bekennt sich überhaupt martialisch-entschlossen zum Anti-Doping-"Kampf", ach was: zum "kompromisslosen" Anti-Doping-"Kampf" (Zitat aus einem von einem Sportjournalisten verfassten Artikel im DOSB-Verbandspressedienst). Dem Sport mag es an vielem mangeln; Pathos gehört nicht dazu.