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Ein Befreiungsschlag für Web-Video

Googles WebM-Homepage
Screenshot: webmproject.org
Googles WebM-Homepage
Screenshot: webmproject.org
Hot or not: Das heißeste Thema in Sachen Web-Technologien neben dem teilweise philosophischen Streit um Datenschutz und Privatsphäre bei Facebook und Co. bietet derzeit der Zankapfel Video. Der medienwirksame Streit zwischen Apple und Adobe über die Verbannung von Flash aus dem iPhone und iPad war nur der Tropfen auf einen ohnehin bereits stark erhitzten Stein. Apple-Chef Steve Jobs persönlich hatte Adobes Software, die nicht nur für das Abspielen von Animationen, sondern auch für das Video-Streaming zum Quasi-Standard geworden ist, zur Hauptursache für Abstürze gestempelt und zudem als "proprietär" gegeißelt.

Proprietär vs. Open Source
Proprietär bedeutet in der Software-Welt unfrei, unter Eigentum stehend. Das Gegenteil ist Open Source, also freie Software mit offen liegendem Code. Tatsächlich ist Flash eine Art Blackbox, ein Container, in dem abgekoppelt vom HTML-Code einer Web-Seite Inhalte abgespielt werden. Aus dem Munde von Jobs klingt der Vorwurf "proprietär" allerdings kurios, liefert doch Apple selbst verplombte Produkte aus, was dem Hersteller eben die Macht darüber gibt, Software wie Flash auszusperren.

Man sollte den Streit zwischen Apple und Adobe nun nicht nur als Machtkampf interpretieren. Im Kern geht es darum, welche Medien-Formate künftig das Internet bewegen werden und wie man sie einbindet. Es ist also eine technologische Frage - allerdings mit massiven ökonomischen Auswirkungen.

Als Video-Abspieler hat Flash aus Software-Sicht tatsächlich Schwächen. Adobes Player ist nicht nur ein separates Programm, sondern auch eine Ressourcen-aufwändige Lösung. Ältere Rechner oder Netbooks gehen da leicht in die Knie; es ruckelt und stottert nur noch. Erst neuerdings kümmert sich Adobe darum, nicht nur auf Windows-Rechnern die Last der Video-Wiedergabe via Flash vom Prozessor auf die Grafikkarte zu verlagern. Vor allem bei hochauflösendem Filmmaterial ist die Video-Dekodierung aufwändig - moderne Grafikkarten können sich aber selbst darum kümmern, wenn sie richtig angesteuert werden.

Flash-Alternative HTML5
Die Alternative zu Flash, die Jobs präferiert, heißt HTML5. Das ist keine Erfindung von Apple, sondern der kommende Web-Standard. Auf dem Papier existiert HTML5 als working draft schon seit 2008. Inzwischen stehen die Aussichten nicht schlecht, dass aus dem Entwurf endlich Realität wird. Denn nicht nur Apple, sondern auch andere Firmen - einschließlich Microsoft - wollen diesen Standard künftig implementieren. Einige Browser-Hersteller haben bereits damit begonnen.

Für Web-Videos heißt das: Statt den Flash-Player, der zuvor erst auf dem eigenen Computer installiert werden muss, aufzurufen, lassen sich mit einer simplen Auszeichnung
<video xsrc="meinvideo.mp4"></video>
im HTML-Code bewegte Bilder im Browser anzeigen - Standard-konform und ohne Zusatz-Software. Die frischen Versionen von Apples Safari-Browser, Googles Chrome und Mozilla Firefox können das schon heute. Die Video-Plattformen YouTube und Vimeo haben im Januar mit der Auslieferung via HTML5 begonnen; YouTube hat dafür eine Umschaltseite eingerichtet.

Um Missverständnisse zu vermeiden: HTML5 ist nicht nur Video, sondern eben die Fortentwicklung der Web-Auszeichnungssprache HTML. Der kommende Web-Standard bringt jede Menge weiterer Neuerungen mit, die den gestiegenen Ansprüchen an Funktionalität, Gestaltung und Struktur von Web-Seiten Rechnung tragen; da es dabei um den Unterbau geht, werden die meisten Innovationen nur von Programmierern und Designern diskutiert; das Thema Video strahlt hingegen über Fachkreise hinaus.

Eine Frage der Kodierung
Bleibt nun die Frage: In welchem Format werden diese Videos ausgeliefert? Sogenannte Codecs sorgen dafür, dass Filme Bandbreiten-schonend komprimiert werden. Damit sie im Browser angezeigt werden können, müssen Sie auf dem eigenen Rechner allerdings wieder dekodiert werden. YouTube oder Vimeo kodieren ihre Filme für den HTML5-Player mittels H.264. Keine schlechte Wahl, denn viele moderne Geräte - vom Smartphone bis zum PC-Boliden - bringen eine Hardware-Beschleunigung mit, um H-264-Videos besser dekodieren zu können; zudem ist der Codec in der Lage, umfangreiches HDTV-Material effizient und qualitativ hochwertig "einzudampfen".

Versuchte man allerdings, mit dem Firefox-Browser bei YouTube Videos via HTML5 zu schauen, bekam man bisher den lapidaren Hinweis: "nicht unterstützt". Der Grund: H.264 ist kein freier Codec. Zwar sollen für seine Verwendung im Internet zumindest bis Ende 2016 keine Lizenkosten anfallen; aber wer weiß schon, ob es sich die Patentinhaber, zu denen - schau an! - auch Apple gehört, nicht anders überlegen, wenn sich ihr Format erst am Markt durchgesetzt hat?

Drohkulisse der Patent-Inhaber
Bei Mozilla scheut man dieses Risiko und setzt statt dessen auf einen Open-Source-Codec: Ogg Theora. Der gilt zwar als nicht ganz so effizient wie H.264, aber er ist eben frei - fragt sich nur, wie lange. Niemand anders als Steve Jobs hat kürzlich wissen lassen, dass es auf der Welt gar keine von Software-Patenten freien Video-Codecs gebe: "Ein Patent-Pool wird aufgebaut, um jetzt gegen Theora und andere 'Open Source'-Codecs vorzugehen. Nur weil etwas Open Source ist, heißt oder garantiert dies unglücklicherweise noch lange nicht, dass es nicht fremde Patente verletzt", mailte Jobs als Reaktion auf einen offenen Brief des Aktivisten Hugo Roy von der Free Software Foundation.

Ironie der Geschichte: Da Ogg Theora im Gegensatz zu H.264 Open Source ist, also der Programm-Code offengelegt wird, ist es besonders leicht für potentielle Kläger, dort neuralgische Stellen aufzuspüren. Und da es in den USA ein regelrechter Sport ist, Technologie-Patente zu registrieren, ist die Drohkulisse besonders hoch.

Auftritt Google mit WebM
Als Cliffhanger für eine Fortsetzung der großen Web-Video-Saga verspräche diese Konstellation eigentlich schon genug Spannung. Doch nun ist Google auf den Plan getreten. Der gute oder böse, nun vielleicht doch wieder gute Suchmaschinen-Gigant hat nämlich kurz vor Pfingsten seinen gerade erst erworbenen kommerziellen Codec VP8 unter einer Open-Source-Lizenz freigegeben. Das Kind hat auch schon einen neuen Namen: WebM. "Das WebM-Projekt zielt darauf ab, ein hochqualitatives, offenes Videoformat für das Web zu entwickeln, das für jeden frei zur Verfügung steht", heißt es auf der neuen Website.

Zu den WebM-Unterstützern gehören schon über 40 Hard- und Software-Firmen, darunter auch die Browser-Hersteller Mozilla und Opera - und in gewisser Weise selbst Microsoft. Der Windows-Hersteller kündigte an, dass auch sein kommender Internet Explorer 9 WebM via HTML5 abspielen wird - sofern der Codec auf dem PC installiert ist. Indem Microsoft WebM nicht mitliefert, kann das Unternehmen auch nicht als Patent-Verletzer verklagt werden.

Somit bleibt unter den Browser-Herstellern einzig Apple außen vor. Wird Steve Jobs nach Flash auch WebM von seinen "i"-Geräten verbannen? Rollt auf Google eine Klagewelle aus dem Patent-Pool zu? Aus der Sicht von Online-Publizisten wäre ein offener Standard dringend wünschenswert, denn er würde - unabhängig von Lizenzgebühren - auf breiter Basis die Verbreitung von Medien-Inhalten und die dazu notwendigen nutzerfreundlichen Anwendungen fördern. Aus Programmierer-Sicht spricht alles für einen offenen Standard, den jeder nutzen und weiter entwickeln darf.

Googles Befreiungsschlag
Hot or not? HTML5 wird immer heißer, für die MPEG-LA, die Allianz hinter H.264, wird es immer kühler. Die Patentinhaber könnten sich nun gezwungen sehen, die sogenannte Baseline-Version ihres Codecs freizugeben, um gegenüber der neuen Konkurrenz nicht ins Hintertreffen zu geraten.

In nächster Zeit darf man eine Lawine von Ankündigungen und Pressemitteilungen erwarten, in denen Web-Dienste und Browser-Hersteller offiziell die WebM-Unterstützung ihrer Produkte annoncieren. Wer heute mit dem Firefox-Browser die HTML5-Umschaltseite bei YouTube (bekanntlich eine Google-Tochter) besucht, erhält den Hinweis: "WebM enabled version coming soon". Googles Initiative hat das Zeug zu einem Befreiungsschlag für Web-Medienformate.
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