Authentizität und Photoshop bei internationalen Foto-Wettbewerben

Andy Spyras geisterhaft-poetisches Preisträger-Bild.
Foto: poyi.org
Andy Spyras geisterhaft-poetisches Preisträger-Bild.
Foto: poyi.org
Heute hat Adobe die Version 5 seiner Creative Suite samt der neuen Ausgabe der als Industriestandard geltenden Bildbearbeitung Photoshop vorgestellt. Damit wird es noch einfacher als bisher sein, unerwünschte Objekte aus Bildern zu entfernen und etwa durch geklonten Hintergrund zu ersetzen. Eine in der Bildbearbeitung neue Verzerrungs-Funktion namens Puppet Warp erlaubt zudem das Verdrehen beispielsweise von Gliedmaßen.

Dank Photoshop scheint in der Manipulation von Bildern alles möglich - und zwar mit immer geringerem Aufwand. Vor diesem Hintergrund muten die Jury-Diskussion um die Authentizität von Bildern, die in diesem Jahr bei zwei hochkarätigen internationalen Foto-Wettbewerben geführt wurden und in einem Fall zur Disqualifikation eines Preisträgers führten, schon beinahe altbacken an - oder auch wichtiger denn je, wenn der Foto-Journalismus seinen Authentizitäts-Anspruch weiterhin verteidigen will.

Fall 1: World Press Photo Awards
Zunächst erhält Stepan Rudik von der Agentur RIA Novosti den dritten Preis in der Kategorie "Sport Feature" zugesprochen. Sein körniges Schwarzweiß-Foto zeigt die verbundende Hand eines Straßen-Boxers in Kiew. Nachträglich wird Rudik der Preis wegen eines Regelverstoßes jedoch wieder aberkannt: "Nach Anforderung der RAW-Dateien der Serie wurde deutlich, dass ein Element von einer der Original-Fotografien entfernt worden war." Laut Wettbewerbsregeln darf der "Bildinhalt nicht verändert werden. Nur eine Retouche, die den gegenwärtig akzeptierten Branchenstandards entspricht, ist erlaubt."

Das (farbige) Original-Foto im Vergleich zur Wettbewerbsversion präsentiert das Blog PetaPixel: Dort wird ersichtlich, dass der Fotograf zuerst einen vergleichsweise kleinen Bildausschnitt freistellte, so dass vom ursprünglichen Kontext des Bildes nichts mehr übrig bleibt (was aber nicht beanstandet wurde), und dann - neben dem Griff in die Farb- und Effektkiste - aus dem Ausschnitt noch ein Bildelement im Hintergrund, nämlich einen unerwünschten Fuß, entfernte: der Grund für die Disqualifikation.

Fall 2: POYi (Pictures of the Year International)
Nach langen Jury-Diskussionen wird ein Foto des Hannoveraner Studenten und Getty-Fotografen Andy Spyra mit dem dritten Platz in der Feature-Kategorie belohnt. Das Bild von einer Trauerfeier in Kashmir wirkt wie eine geisterhafte Doppelbelichtung. Tatsächlich teilt der Fotograf auf Nachfrage mit, während der zwei Sekunden langen Belichtung schnell von einer Szene zu einer anderen geschwenkt zu haben. Deshalb besteht das Foto praktisch aus zwei Motiven. Außerdem habe er mit Photoshop einige Beleuchtungs-Effekte nachgearbeitet.

Entscheidend für die Jury-Diskussionen, die sich in Blog-Einträgen zweier Juroren nachvollziehen lassen, war aber nicht die Photoshop-Nachbearbeitung, sondern der Kamera-Schwenk. "Weil niemand von uns jemals mit dieser Technik konfrontiert wurde, gab es keinen Präzedenzfall, auf den wir uns hätten beziehen können", schreibt Juror Scott Strazzante von der Chicago Tribune. Ihn hatte das Bild von Anfang an fasziniert.

Sein AFP-Kollege Pedro Ugarte votierte dagegen: "Ich sah keinen Unterschied zwischen dem mit dieser Technik erzielten Resultat, einer Doppelbelichtung oder Photoshop-Manipulationen; allesamt Techniken, die ich und viele Kollegen im Fotojournalismus für nicht akzeptabel halten." Letztlich entschied die Jury jedoch: Was nicht verboten sei, müsse wohl erlaubt werden. Spyra durfte seinen Preis bekommen.

Fazit: Ein Foto wird disqualifiziert, eines nicht
In beiden Fällen dienen als Entscheidungsbasis "von vielen Kollegen" oder auch "nach Branchenstandards" akzeptierte, aber nicht genau definierte und durch die Entwicklung von Technik und Software ständig unter ständigem Überarbeitungs-Druck stehende Regeln. In beiden Fällen entsprach das Bildresultat nicht der Wahrheit: einmal wurde wegretouchiert, das andere mal eine künstliche Realität durch Überlagerung erschaffen. Handwerklich dürfte Spyras Bild erheblich wertvoller sein. Authentisch im Wortsinne ist es nicht. Und Schuld daran ist in diesem Fall nicht einmal Photoshop.