Sie befinden sich hier:

Arbeit am Mythos: 60 Jahre "Spiegel"

Bunte Zeiten. Cover der Jubiläumsausgabe samt Ausklapper Foto: Der Spiegel
Zoom
 + 
Bunte Zeiten. Cover der Jubiläumsausgabe samt Ausklapper Foto: Der Spiegel
Mit einer Party für 2.000 Gäste in der Hamburger Hafencity und einer Jubiläums-Ausgabe samt DVD und Sonderbeilage begeht der Spiegel sein 60-jähriges Bestehen. Das verstößt zwar gegen den Hausbrauch - "Bloß nicht so viel Schulterklopfen, so viel Getue um die eigene Groß- und Einzigartigkeit, schon gar nicht aus einem so vergleichbar belanglosem Anlass wie dem 60. Geburtstag" (so der frühere Chefredakteur Werner Funk im Hamburger Abendblatt) -, doch die Arbeit am eigenen Mythos tut not.

Während in den Montagsreden zum Jubiläum vor allem glorreiche Erinnerungen wachgerufen werden, sieht die Gegenwart des am 4. Januar 1947 erstmals erschienenen "Sturmgeschützes der Demokratie" nicht so glamourös aus. Chefredakteur Stefan Aust hat die branchentypischen Auflagenverluste zwar im Zaum und sein Heft über der Millionen-Grenze halten können, doch der Bedeutungsverlust des "Hamburger Nachrichtenmagazins" ist unübersehbar.

Moderne Zeiten
Die großen Enthüllungen liest man inzwischen jedenfalls anderswo - zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung, deren Inhalt von ehemaligen Spiegel-Leuten (angefangen beim Chefredakteur) maßgeblich bestimmt wird - leider auch deren Stil. Der hat sich an einigen Stellen dem "obersten Verhunzer der deutschen Sprache" (Wolf Schneider einstmals über den Spiegel) angenähert.

Sicher. Ein Wochenmagazin ist im ständigen Aktualitäts-Wettlauf der modernen Medienproduktion von Natur aus benachteiligt. Der Spiegel hat darauf reagiert: Heute wird mehr dokumentiert denn enthüllt. Das magazintypische Patchwork aus Zitaten, Gerüchten, Fakten und Kommentierung suggeriert trotzdem pausenlose Relevanz-Produktion.

Der Spiegel musste auch reagieren, als aus München zum Angriff auf den heiligen Montag geblasen wurde: Im Januar 1993 kam das Burda-Magazin Focus zum ersten Mal auf den Markt. Bald baute auch der Spiegel viele, viele bunte Tortengrafiken. "Wie wichtig ist der Spiegel noch?", fragt zum Geburtstag nicht nur Die Welt.

Schwer zu verorten
War der Spiegel unter dem FDP-Mitglied Augstein "im Zweifel links", so ist er unter dem von Augstein 1994 eingesetzten Aust neoliberal geworden - klagen jedenfalls enttäuschte Kritker. Oder ist das alles nur ein Missverständnis? Schließlich war der Spiegel politisch schon immer schwer zu verorten. Diese Diagnose gilt auch für Aust. Der 59-Jährige markierte Ende der sechziger Jahre bei den St. Pauli Nachrichten noch den linken Revoluzzer.

Vom Spiegel-Chef Aust weiß man immerhin, dass er kein Freund von Windrädern ist - vor zwei Jahren sorgte ein vom ihm persönlich gekippter Report über Windkraft für die Demission zweier preisgekrönter Redakteure. Zusammen mit FAZ und Springer opponierte er gegen die Rechtschreibreform - bis der Spiegel als erster die konservative Allianz wieder verließ.

Aust ist ebenso schwer greifbar wie angreifbar. Die internen Machtkämpfe mit den Augstein-Kindern und der Mitarbeiter KG in jüngerer Zeit hat er abprallen lassen. Aus der Kritik am sinkenden Niveau des Spiegels ging Aust dank eines Solidaritäts-Votums der Redaktion sogar gestärkt hervor. Sein Vertrag wurde bis 2008 verlängert.

Jubiläen haben einen schönen Effekt: Man feiert gemeinsam und auch sich selbst. Schon bald könnte die Partylaune indes wieder verflogen sein: Im März wählt die mächtig-ohnmächtige Mitarbeiter-KG - laut Augsteins Testament gehören der Belegschaft 50,5 Prozent des Verlags - eine neue Führung. Weitere Machtkämpfe sind programmiert. Ein saftiger Stoff, gespickt mit Gehässigkeiten und Intrigen. Zu dumm, dass der Spiegel diese Geschichte nicht selbst schreiben kann.
Zuletzt bearbeitet 08.01.2007 17:47 Uhr
Sie sind: Gast | Login | Registrieren