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Warum die Journaille Harald Schmidt verehrt

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Seit Harald Schmidt seine "kreative Pause" angekündigt hat, werden für den Entertainer alle Glocken geläutet. Schmidt selbst schweigt zwar beredt in eigener Sache, aber die Medien, allen voran die sogenannte Qualitätspresse, sind voll von seinem Abgang, bringen Nachrufe, als ob "His Schmidtness" verstorben wäre, oder spekulieren über seine Rückkehr zur ARD, als ob er wiedergeboren würde. Wild treiben's die Kollegen: Die Süddeutsche bastelt täglich mit geradezu Spiegel-haftem Enthüllungseifer an der Schmidtschen Verschwörungstheorie, die besagt, dass ProSiebenSat.1-Chef Urs Rohner unseren Late-Night-Liebling auf dem Gewissen hat. Die FAZ sammelt derweil lauter Promi-Trauerreden. Selbst "Post von Wagner" hat Schmidt schon in der Bild bekommen - man neckt sich ja gelegentlich gerne. Nach diesem massiven Echo ist das Postulat wohl berechtigt, dass niemand mehr vom Abschied Harald Schmidts schockiert wurde als die Journalisten-Kaste. Als Schmidt am Montag seine erste Show danach machte, hingen sie alle wie Bibel-Exegeten an seinen Lippen: Gott, gib uns ein Zeichen, warum gehst Du, und wann kommst Du wieder? Tatsächlich sang dann Mitarbeiter Uwe seinem Chef ein Ständchen: "Into my Arms, God." Warum also verehren die Journalisten - und gerade die aus den gehobenen Ständen - Schmidt so abgöttisch? Wie kommt Roger Willemsen auf die Idee, der deutsche Journalismus habe sein "Idol" verloren? Dafür gibt es, wie für vieles im Leben, drei gute Gründe. 1. "Dirty Harry" Für die Neurose namens politische Korrektheit ist zwar die gängige Abkürzung ("PC") in den USA erfunden worden, aber die Deutschen leiden mindestens ebenso stark daran. Wo amerikanische Denkfreiheit vor allem von religiösen Fundamentalismen beschnitten wird, ist es in Deutschland die Erinnerung an "die Zeit vor 45", die sich trotz aller Umschreibungen nicht heilen lässt. Schmidt hingegen macht Polenwitze und geriert sich als Tabubrecher. Schon das Aussprechen des Unartigen reicht hierzulande. Dafür lieben ihn gerade jene Journalisten, die stolz darauf sind, sich als kritisch zu bezeichnen. Während sie sich an ihrem Moralkodex abarbeiten müssen, wirft die Figur Harald Schmidt einfach alle Moral über Bord. 2. Wir sind doch alle eitel Harald Schmidt sei intellektuell und gehöre schon deshalb in die ARD, hat Fritz Pleitgen jetzt behauptet. Verkneifen wir uns an dieser Stelle mal gehässige Bemerkungen über die Hybris, die aus dieser Aussage spricht. Stellen wir lieber fest: Es gibt noch Leute, die stolz darauf sind, sich intellektuell zu fühlen. Dass der Pfau Schmidt sich in der Rolle als Oberguru gefällt, daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern, darunter den Journalisten, die bekantlich von Natur aus eitel sind, darf er sich jeden Abend wie ein Pfau aufspreizen und rufen: Seht her, ich bin ein Intellektueller. Darum beneiden ihn die Journalisten ... 3. Die "Medienhure" ... und dafür lieben ihn die Journalisten, denn Schmidts Sonne bescheint auch sie. Gehört er doch zu ihren eifrigsten Lesern und Zuschauern. Im Idealfall werden sie sogar zitiert, gelegentlich, nun ja, auch verhöhnt. Aber Bad news ist bekanntlich auch Good news. Bei Schmidt erwähnt zu werden, ist immer noch attraktiver, als im Frühschoppen oder in irgendeiner Journalistenrunde bei Phoenix über die Welt zu räsonieren. Dass sich Schmidt in konsequenter Selbstreflektion als "Medienhure" betitelt, finden die Journalisten ganz schön zynisch. Aber mit ihnen selbst hat das ja gar nichts zu tun.
Zuletzt bearbeitet 10.12.2003 12:01 Uhr
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