Zitiert: Offener Brief der Redaktion der "Berliner Zeitung"

"Sehr geehrter Herr Neven Dumont, sehr geehrte Herren,

die Erleichterung über den Kauf des Berliner Verlages durch Ihr angesehenes Verlagshaus ist großer Sorge um die Qualität und Unabhängigkeit der Berliner Zeitung gewichen. Grund sind die Beschlüsse und Absichtserklärungen der MDS-Verlagsspitze zur Auflösung, Aufteilung und Auslagerung mehrerer Ressorts. Bei der Übernahme unseres Hauses haben Sie zugesagt, die Berliner Zeitung zu entwickeln und die Redaktion an diesem Prozess zu beteiligen. Unser Vertrauen in diese Zusage ist erschüttert.

Eine Umsetzung der Pläne würde die Redaktion im Kern treffen, die Substanz der führenden Hauptstadtzeitung gefährden und die Marke Berliner Zeitung mit ihrer engen Leser-Blatt-Bindung beschädigen. Zudem widersprechen die Pläne dem von Ihnen anerkannten Redaktionsstatut. Dieses legt fest, dass die Berliner Zeitung eine „Autorenzeitung mit Vollredaktion“ ist, die eigene überregionale und regionale Ressorts umfasst. Im Statut ist ferner das gemeinsame Ziel von Verlag und Redaktion festgeschrieben, „das Qualitätsniveau der Zeitung weiter zu steigern“.

Der Vorbesitzer Mecom hat die Zeitung „ausgequetscht wie eine Zitrone“; so hat es Chefredakteur Vorkötter Ende Juni formuliert. Wir haben uns aber nicht drei Jahre den Zumutungen David Montgomerys und seines Statthalters Josef Depenbrock widersetzt, um nun ähnliche Pläne erneut vorgesetzt zu bekommen. Die Äußerungen von Verlagsseite dazu („Die Vision von Montgomery war ja das, was wir jetzt tun“, FTD vom 20.7.09) können wir nur als Affront verstehen. Welche Gründe gibt es, ein als gescheitert erkanntes Konzept wieder zur Grundlage von Entscheidungen zu machen? Trotz der Schwierigkeiten, die „drei verlorene Jahre“ (Vorkötter) unter Montgomery geschaffen haben, produziert die Redaktion weiterhin ein hochwertiges, respektiertes und wirtschaftlich erfolgreiches Blatt. Die Berliner Zeitung braucht jetzt Investitionen in Personal, Technik und den online-Bereich. Nur so kann sie den Leserinteressen gerecht werden, neue Abonnenten gewinnen und auf Dauer profitabel arbeiten.

Dabei hat sich die Redaktion von vornherein zu sinnvollen Kooperationen innerhalb der MDS-Gruppe bereiterklärt. Dass wir trotz vieler ungelöster Probleme den Austausch von Texten, Grafiken etc. („Syndication“) zugelassen haben, zeigt unseren Willen, neuen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Die Erfahrungen belegen allerdings, dass die beteiligten Abo-Titel sehr unterschiedliche Erwartungen an Texte und Grafiken haben - aus guten Gründen, nämlich zur notwendigen Wahrung ihrer Identität. Die Grenzen einer Kooperation sind bereits daran erkennbar geworden.

Mit unserer Bereitschaft zum Austausch haben wir die Hand gereicht; den ganzen Arm wollen wir uns nicht nehmen lassen. Daher hat die Redaktionsversammlung heute beschlossen, die Syndication auszusetzen, bis die Erfahrungen ausgewertet und Schlüsse für weitere Formen der Kooperation gezogen sind. Die Pläne zur Zerschlagung und Auslagerung von Ressorts müssen vom Tisch.

Wir können nicht zusehen, wie ohne Not bewährte Strukturen dieser Zeitung preisgegeben und Arbeitsplätze hier wie auch in anderen Verlagstiteln gezielt überflüssig gemacht werden. Eine Berliner Zeitung ohne eigenes, in die Redaktion integriertes Bundesbüro, ohne komplettes Wirtschaftsressort und eigenen Wissenschaftsteil ist undenkbar - ebenso wie Frankfurter Rundschau, Kölner Stadtanzeiger oder Mitteldeutsche Zeitung ohne unabhängige Politikberichterstattung.

Die willkürliche Trennung von Einheiten sowie die Zersplitterung zusammengehöriger Redaktionsteile an verschiedenen Standorten können nicht funktionieren. Zu erwarten sind erhebliche Kommunikationsprobleme und Reibungsverluste sowie eine inhaltliche Verwässerung der Zeitungen. Sie würden ihre Unverwechselbarkeit und letztlich ihre Seele verlieren. Die Folge wäre keine Qualitätsverbesserung, wie argumentiert wird, sondern eine Verschlechterung zu Lasten der Titel und der Leser.

Journalistischer Einheitsbrei führt zum Verlust publizistischer Vielfalt und zum Mittelmaß.

Daran kann ein Verlag, dessen Ziel der langfristige Erfolg ist, kein Interesse haben."


Der am 24. August einstimmig von der Redaktionsversammlung beschlossene offene Brief der Berliner Zeitung an die Verleger.
Zuletzt bearbeitet 25.08.2009 00:30 Uhr