Wiener Frauengesundheitsprogramm – Erfolgsgeschichte mit Zukunft

Tagungsbericht

Das „Wiener Frauengesundheitsprogramm“ befindet sich bereits im 11. Jahr seines Bestehens – und auch jetzt kann man dies noch festlich begehen. Das geschah vor wenigen Tagen, Ende September 2009, bei einer Fachtagung „Frauengesundheit – neu gedacht: Strategien, Konzepte, Perspektiven“ in Wien. Viele engagierte Frauen aus ganz Österreich und internationale Gäste nahmen daran teil. Dies waren Kernsätze und Highlights:

Wien führt. Wien ist mit seinem Frauengesundheitsprogramm zur führenden Stadt Europas in Sachen Frauengesundheit geworden, das muss ausstrahlen.
Professorin Ilona Kickbusch ehem. WHO-Direktorin und Mitinitiatorin des Frauengesundheitsprogramms

Neuer Blick. Wir haben von Anfang an ausgezeichnete Unterstützung von der Stadt Wien erhalten, und dies parteienübergreifend, das waren und sind tolle Voraussetzungen.Ärztinnen und Ärzte, ob direkt einbezogen oder nicht, bestätigen jetzt: Es gibt einen neuen Blick auf Frauengesundheit, das sei auch für ihre Arbeit ein Vorteil.
Wien als Stadt mit einem hohen Anteil von MigrantInnen hat sich gerade dieses Problems unter dem Aspekt Frauengesundheit stark angenommen. Auch das hat große Erfolge gezeigt, so z. B. durch die Teilnahme der Migrantinnen am Mammographie-Screening und an anderen Projekten des Programms. Der Zugang für diese Frauen zum Gesundheitssystem ist niederschwelliger geworden.
Professorin Beate Wimmer-Puchinger, Wiener Frauengesundheitsbeauftragte und Leiterin des Programms.

Wechseljahr-Studie.
Wie Frauen aus unterschiedlichen Kulturen die Wechseljahre reflektieren, hat eine länderübergreifende Studie in Berlin und in der Türkei gezeigt. Fast 1.000 deutsche, türkische sowie asiatische Frauen, die in Berlin leben, und in der Türkei lebende Frauen wurden dazu befragt. Das Fazit: Wechseljahresbeschwerden werden je nach soziokulturellem Hintergrund unterschiedlich bewertet, auch die Bewältigungsstrategien unterscheiden sich. So ist der Zugang zu Information und Beratung vor allem für die Migrantinnen aus der Türkei sehr schwierig.
Proferssorin Theda Borde, Berlin

Neue Modelle notwendig. Die Depression als häufige psychische Störung bei Frauen ist eine soziale Herausforderung. Bemerkenswert ist z. B., dass entsprechende Modelle zur Untersuchung solcher Verhaltensweisen und Störungen z. T. nur am männlichen Geschlecht entwickelt wurden. Das führt zu gravierenden Unterschieden in der Bewertung. Frauen wurden mit Eigenschaften beschrieben, die bei einem Mann für negativ bzw. krank gelten. Gesellschaftlich konstruierte Geschlechterrollen und Geschlechterstereotype können sich also direkt auf das Gesundheitsverhalten, die Diagnostik, aber auch die Therapie durch Ärztinnen und Ärzte auswirken. Die Frage stellt sich immer wieder neu: Was ist männlich, was ist weiblich?
Professorin Karin Gutierrez-Lobos, Wien

Häusliche Gewalt. Das Personal im Krankenhaus sieht sich nicht selten Anzeichen häuslicher Gewalt bei Patienten gegenüber, ohne in der Lage zu sein, helfend einzugreifen. In der Frauenklinik Maternité Triemli in Zürich wurden deshalb neue Wege beschritten. Das Personal wurde in die Lage versetzt, durch eine professionelle routinemäßige Befragung der Patientinnen zu diesem heiklen Thema nicht nur Sicherheit im Umgang damit zu gewinnen, sondern auch bei Bedarf weitere Schritte einleiten zu können. Eine lähmende Hilflosigkeit ist überwunden, der Erfahrungsaustausch mit anderen Kliniken hat begonnen.
Dr. Barbara Bass, Zürich

Weitere Themen: Gesundheitsförderung für wohnungslose Frauen und Arbeit suchender Frauen; Traumkörper und Körperunzufriedenheit als Norm; Das weibliche Genitale als Objekt der Verstüummelung; Gestörtes Essverhalten in der Schwangerschaft

Gender Medicine: Fortschritt oder Backlash? Die abschließende Podiumsdiskussion eröffnete einen Blick auf die Themen, die das nächste Jahrzehnt des Wiener Frauengesundheitsprogramms mitbestimmen könnten. Dabei gilt es: Weg vom Etikettenschwindel, Gynäkologie z. B. sei doch per se bereits Gendermedizin! Es gehe darum, Medizin unter dem Geschlechtergesichtspunkt zu analysieren und weiterzuentwickeln – das gelte dann für Frauen, Männer, aber auch Kinder und ältere Menschen. Im Grunde gehe es um eine differenziertere Medizin, so Beate Wimmer-Puchinger, Ilona Kickbusch, Anita Rieder (Professorin, Sozialmedizinerin, Wien) und Zita Küng (Genderexpertin, Zürich). Es komme jetzt darauf an, diese Prämisse in die entscheidenen Gremien zu tragen, wo es nicht nur um Pharmaentwicklungen gehe, sondern auch um Versorgungsforschung, die ärztliche Ausbildung, die Pflegebereiche. Ausreichend Arbeit für die nächsten Jahrzehnte!
Annegret Hofmann