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Journalismus 2.0

von Anton Simons, UVK 2010, broschiert, 236 Seiten, 29,90 EUR

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Schon 2007 erschien in den USA ein Buch mit dem Titel Journalism 2.0. Mit diesem auf die Praxis zugeschnittenen Buch ist Anton Simons drei Jahre später erschienener Band weder verwandt noch verschwägert, sieht man einmal davon ab, dass beide ihren Titel dem zeitweilig angesagten Begriff "Web 2.0" entlehnt haben; inzwischen klingt er allerdings schon etwas angestaubt und durch neue Buzzwords abgelöst.

Mindestens ebenso aktuell wie 2007 ist allerdings die Herausforderung des klassischen Journalismus', seines Publikations- und Meinungsmonopols durch das Internet und das, was man heute Social Media nennt. Das ist das Thema von Simons' Buch, das als Band Nr. 84 in der gut beleumundeten UVK-Reihe Praktischer Journalismus erschienen ist. Dahinter verbirgt sich allerdings kein praktischer Leitfaden. Vielmehr hat Anton Simons - bis 2009 Lokalredakteur der Internet-affinen Rhein-Zeitung, dann Öffentlichkeitsarbeiter, außerdem laut Verlagsbiografie Betreiber mehrerer Regionalblogs und eines Regionalwikis - den Versuch unternommen, eine Art Grundlagenwerk zu schreiben, also eine Zusammenfassung des State of the art.

Dummerweise ist der Aggregarzustand dieses digitalen Journalismus', der täglich in Blogs, via Twitter und auf Konferenzen debattiert wird, aber eher flüssig als fest; manchmal erweist er sich sogar als gasförmig. Will sagen: Manche dieser Buzzwords, derer sich auch Simons freigiebig bedient, verflüchtigen sich ebensoschnell wieder, wie sie ins Gespräch gebracht wurden, andere fehlen, weil sie während der Entstehungszeit des Buches - den Zitaten und Quellenangaben nach zu urteilen hauptsächlich 2009, gelegentlich tauchen noch Nachzügler aus dem Jahr 2010 etwa in Form von Zitaten aus einem Interview mit dpa-Chefredakteur Büchner auf - noch nicht existierten. Da sieht das Buch schon Ende 2010 ganz schön alt aus.

Das erste und auch umfangreichste Kapitel des Buches bestreitet Simons mit einer Vorstellung der Medien 2.0 - Blogs, Social-Media-Dienste etc. - die zudem daraufhin überprüft werden, inwieweit sie sich von Medienunternehmen implementieren bzw. nutzen lassen. Simons' Blickwinkel ist also - trotz der von ihm dagestellten und auch so genannten "Medienrevolution" - ein restaurativer: Es ist die Perspektive der Verlagspublizistik, die vor der schweren Herausforderung steht, in den neuen digitalen Medien neue Erlös- und Publikationsmodelle zu entwickeln, wobei Simons das Reizthema Paid Content und Paywalls gar nicht diskutiert.

Statt dessen untersucht er, wie sich Medienunternehmen zu den neuen, sozialen Medien verhalten und wie die Redaktionen sich für den Journalismus 2.0 aufstellen. Da rollt dann schon wieder eine Buzzword-Lawine heran: Newsdesk, Monitoring-Desk, Community-Desk, Viral-Desk, Investigativ-Desk, Innovation-Desk, Knowledge-Desk - so viel Tischlerei war noch nie. Für Simons sind all die Desks eine Konsequenz der Crossmedialität, die moderne Redaktionen heute leisten müssen. Leider ist kein Raum mehr für Kritik jenseits der denglischen Zauberwörter: Was bringen die Tische wirklich, warum tun sich viele Journalisten so schwer damit, wie wirkt sich die Zentralisierung und Generalisierung auf die Arbeit und die journalistische Qualität aus? All das interessiert hier nicht, und das "Journalist 2.0" betitelte Kapitel ist dann gerade mal drei Seiten lang.

Simons belegt seine Darstellung mit zahlreichen Quellen. Da noch vergleichsweise wenig wissenschaftliche Literatur greifbar ist, zitiert er häufig aus Zeitschriften wie dem Medium-Magazin. Darunter befinden sich auch bekannte Figuren wie der Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger oder Wired-Chef Chris Anderson in seiner "Long tail"Nische. Abbildungen von vorbildlichen journalistischen Web-Formen fehlen völlig, was auch dem Kostenaufwand geschuldet sein dürfte, den farbige Drucktafeln bedeuten; statt dessen tauchen jedoch plötzlich und etwas unmotiviert ein paar Screenshots wie jener von "Deutschlands erstem Gebietsweinblog" auf.

Unter dem Strich eignetg sich Simons' Buch für Journalisten und Entscheider in Verlagen. Leider geht der solide dokumentierten Arbeit der Reiz des Neuen und Medienrevolutionären aber ganz und gar ab.

Aus dem Inhalt:
  • Medien 2.0
  • Die Medienrevolution
  • Journalismus 2.0
  • Redaktionen 2.0
  • Journalisten 2.0
  • Medienunternehmen 2.0

Verlagstext
Das junge Publikum kehrt Zeitungen und Zeitschriften sowie der Konfektionsware in Radio und Fernsehen massenhaft den Rücken, um sich Webangeboten wie Twitter, StudiVZ, myspace und Wikipedia zuzuwenden. Die bisher zur Passivität verurteilten Mediennutzer ergreifen die neuen Möglichkeiten, die Social Media ihnen bieten, um sich – an den Gatekeepern der klassischen Medien vorbei – interaktiv und multimedial in die öffentliche Kommunikation einzubringen. Werbung, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, Vereinen, Verbänden, Parteien, Behörden und Kirchen tun dies gleichermaßen.

Das Web 2.0 kostet die Medienunternehmen ihr Vermittlungsmonopol und führt zur größten Medienrevolution seit der Erfindung des Buchdrucks. Dies hat tiefgreifende Folgen für den professionellen Journalismus, der gezwungen ist, sich in den nächsten Jahren neu zu erfinden. Andererseits gibt das Social Web Medienunternehmen und Redakteuren neue Instrumente an die Hand, die ihnen helfen Ihre Produktivität, die Effizienz ihrer Arbeit und die Qualität ihrer Produkte zu steigern. Und sie verschafft ihnen Zugang zu einem überaus hohen Gut: der kollektiven Intelligenz ihrer Leser, Hörer und Zuschauer.

Anton Simons beschreibt die Grundprinzipien dieser Medienrevolution und ihre Auswirkungen auf den Journalismus. Er stellt neue journalistische Formate, neue Organisationsformen und Instrumente der Redaktion 2.0 vor und zeigt, wie sich klassische Medienunternehmen für die Zukunft aufstellen können.
Zuletzt bearbeitet 15.12.2010 19:10 Uhr
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